Für FCN-Anhänger Martin Oswald sind Fan-Schals die große Leidenschaft

Ein Sammlertick aus Polyester und Acryl-Wolle

 

 
Mit Häme gegnerischer Fans müssen Anhänger des 1. FC Nürnberg leben – vor allem wenn ihr Lieblingsverein wieder einmal abgestiegen ist. Das war in diesem Sommer so, und das war auch fünf Jahre zuvor so, als der Club aus der Ersten Bundesliga schied. «Mit einem Absteiger tausche ich nicht!», bekam Martin Oswald im Sommer 2003 zu hören. Den Besuch der Bayernliga-Partie 1. FC Nürnberg II gegen die SpVgg Weiden hätte er gerne anders in Erinnerung behalten; dass Häme unter Fans bis auf das Niveau von Amateuren durchsickert, war für ihn ein Novum.

Oswald ist heute 30 Jahre alt, damals wollte er eigentlich nur einen Fanschal seines FCN gegen einen der Oberpfälzer tauschen – um Spott hatte er nicht gebeten. Den Weidener Halsschmuck bekam er nicht, im Grunde hat er ja genug davon. Aber von einer Leidenschaft kann man nur schwer lassen. «So ist das eben mit einem Sammlertick», erklärt Oswald. «Wenn man etwas noch nicht hat, will man es umso mehr.»

«Es» sind bei Martin Oswald Fanschals, seien sie von Fußball-, Handball- oder Eishockeyvereinen. An die 3100 Stück zählt seine Sammlung. «Ich habe noch keinen getroffen, der mehr hat», sagt er. Mit seiner Kollektion ist er wohl Deutschlands Nummer eins in dieser Sammlersparte – vielleicht sogar auf der Welt. Ob alles Einzelstücke sind oder sich auch Dubletten in seinem Arsenal aus Polyester und Acryl-Wolle befinden? Ausschließen will es Oswald nicht, überwiegend aber seien Unikate in seiner Kollektion zu finden. Das Nachzählen möchte er sich gerne ersparen.

Es darf auch etwas ganz Spezielles sein

Oswalds «Sammlertick» hat sich mehr oder minder so ergeben, seit 1994 tauscht oder bestellt er Schals. Wichtig ist ihm, dass Wappen und Vereinsname auf dem Nackenschmeichler verzeichnet sind, das habe etwas «Authentisches». Am liebsten seien ihm Jacquardschals, die nach einer eigenen Webtechnik verflochten werden und sich «angenehmer» um den Hals legen, als solche aus reinen Kunstfasern.

Zum Tauschen hat Martin Oswald genug Gelegenheit: Seit 15 Jahren besitzt er eine Dauerkarte beim 1. FC Nürnberg und begleitet seinen Verein auch zu Auswärtsfahrten. Da bieten sich immer Möglichkeiten, neue Schals zu erstehen. Vor allem in dieser Saison, da der «Club» wieder zweitklassig ist und einige «exotische» Vereine im Ligabetrieb warten. Ein Schal des SV Wehen Wiesbaden fehle dem 30-Jährigen zum Beispiel noch in seiner Sammlung. «Bei kleineren Klubs ist es aber oft schwieriger», erklärt Oswald und verweist auf jenen Nachmittag in Weiden.

In einem Abstellzimmer seiner Wohnung hat Martin Oswald die Schals zu hüfthohen Türmen geschichtet. Der Raum wirkt wie eine Andachtsstätte: Figuren von «Goleo», dem Maskottchen der Fußball-WM 2006 in Deutschland, thronen auf einem Sofa; in den Bücherregalen finden sich Fibeln wie Peter Bergers «König Fußball» und kreisen um ein bunt gesprenkeltes Zentrum aus Schals, die die Mitte des Raumes füllen.

Einen Großteil seiner Exemplare hat Oswald über ein Internet-Auktionshaus erstanden. Sonst wäre er kaum auf seine knapp 3100 Stück gekommen, sonst wäre er an Schals der Urawa Red Diamonds (Japan), Club America (Mexiko) oder New England Revolution (USA) nie herangekommen. Denn ein so genannter Groundhopper ist Oswald nicht, der die Fußballplätze auf der ganzen Welt abgrast, um sich mit neuen Fanutensilien einzudecken. Das gehe außerdem ordentlich ins Geld. Ein käuflich erworbener Schal schlägt hingegen mit einzelhandelsüblichen 10 bis 15 Euro zu Buche.

Um die Kosten für seinen «Tick» in Grenzen zu halten, betreibt Oswald eine Art Arbeitsgemeinschaft. Mittels einer Reise zu einem Fußball-Auswärtsspiel hat er einen seiner besten Freunde kennengelernt. Tobias Frisch ist Trierer, Fan des 1. FC Kaiserslautern sowie selber Besitzer von rund 1700 Schals und besorgt ihm schon mal einen aus dem nahen Luxemburg. Oswald revanchiert sich dann natürlich seinerseits.

An Höhepunkten im Sammlerdasein des 30-Jährigen mangelt es nicht. Der Akt des Tauschens oder Erwerbens ist ohnehin das meist schale Nachspiel einer aufregenden Suche. Und als 1. Vorstand des FCN-Fanklubs Interessengemeinschaft Rot-Schwarz ist Oswald oft auf der Suche, er begleitet den «Club» ja zu jedem Pflichtspiel. Wie im vergangenen Jahr zu Rapid Bukarest, als sich der FCN als Uefa-Pokal-Teilnehmer adeln durfte. 28 Stunden dauerte die Hinfahrt der Fans mit dem Bus, 24 Stunden dauerte die Rückkehr aus Rumänien. Eine Baustelle mit 21,5 Kilometer Länge eingerechnet.

Würde man alle knapp 3100 Schals von Martin Oswald der Länge nach auf dem Boden auslegen (ein Einzelexemplar kommt auf ungefähr 140 Zentimeter), würde man eine Entfernung von rund 434 Kilometern überbrücken. Eine Strecke bis nach Weiden ließe sich so locker erschließen, aber dorthin kehrt Martin Oswald so schnell nicht wieder zurück. «Drittklassig möchte ich nicht werden», sagt er und meint eigentlich den 1. FC Nürnberg. Der Sommer 2009 soll keiner voll Häme, sondern einer des Aufstiegs werden. In dem er noch den ein oder anderen neuen Schal in seine Sammlung einreihen kann.
 
 

Martin Moravec   © NÜRNBERGER ZEITUNG